Mittwoch, 18. November 2009

Erfahrungsbericht: Erlebter Machismo in Nicaragua.

Der vorliegende Bericht ist sicherlich einer unter vielen der versucht, den Machismo zu beschreiben. Dennoch hatten wir das Verlangen, einen Teil unserer gewonnenen Erfahrungen zu veröffentlichen. Der Bericht ist nur ein grober Auszug über unsere Erlebnisse die wir mit dem Machismo hatten. Es wäre unmöglich alle Gedanken in einen Artikel zu stecken, da man in Nicaragua jeden Tag aufs Neue mit Machismo konfrontiert wird, da die meisten sozialen Handlungen bzw. Verhaltensweisen aus ihm resultieren. Man könnte damit Bücher füllen. Deshalb werden viele Aspekte (z.B. Gewalt gegen Frauen, Rolle der Religion,...) an dieser Stelle nicht erwähnt.

Ich erinnere mich als ob es gestern war. Ich war erst zwei Wochen im Land, fühlte mich allerdings schon pudelwohl. Ich saß im Auto mit meinem Gastvater, nur wir beide und schwiegen vor uns hin. Um die bedrückende Atmosphäre aufzulockern, begann er ein Gespräch unter vier Augen – von Vater zu Sohn. „Du musst zusehen, dass du schnell ein paar Freundinnen findest!“ kam es aus dem Mund des Familienoberhaupts. Ich schaute ihn schräg an, spielten mir meine fehlenden Sprachkenntnisse etwa einen Streich oder hatte ich ihn richtig verstanden? Ein paar Freundinnen? Ich entgegnete ihm: „Ja, mal sehen. Aber reicht nicht erstmal eine?“ „Nein, hier in Nicaragua ist das so. Da darf ein Mann noch mehrere Frauen haben. Das mach ich auch so!“
Ein wenig schockiert und besorgt um die Familienidylle kamen wir zu Hause an. Ich stieg aus und ging ins Bett. Einschlafen konnte ich jedoch nicht sofort. Fragen schossen mir durch den Kopf: „Was ist, wenn ich aber nur eine Freundin habe, oder noch schlimmer gar keine?“ Ich fühlte mich unter Druck gesetzt. „Was ist, wenn meine Gastmutter von dieser dunklen Seite ihres Gatten erfährt? Oder hat sie etwa auch mehrere Männer und die beiden führen ein Doppelleben?“ Manche Menschen finden so etwas ja toll. Sollte ich mit ihr drüber reden? Aber dann hätte ich eine mögliche Scheidung mit zuverantworten und ich war doch erst zwei Wochen hier als Gast, hatte also gar nicht das Recht mich einzumischen.
Schließlich entschied ich mich mit ihr über die Untreue der Männer in Nicaragua zu unterhalten: „Ach die meisten sind doch Mistkerle! Viele haben andere Frauen, Mein Mann hat mich früher auch betrogen! Deshalb ist er auch nicht die Liebe meines Lebens.“ Das Haus gehört ihren Eltern, ihre Schwestern schicken regelmäßig Geld aus den USA und tragen so den Löwenanteil am Lebensunterhalt bei. Sie ist also unabhängig von ihm. Warum also duldet sie sein Verhalten und hat ihm noch nicht den Laufpass gegeben?
Das war mein erster Kontakt mit dem Machismo. Ich denke als junger Mann begegnet man dem Machismo ganz anders als eine junge Frau. Man hat die Chance in ihn einzutauchen, die Verhaltensformen zu verstehen und vertrauliche Gespräche mit den Männern zu führen. So konnte ich in unzähligen Männergesprächen lauschen, wie Frauen, nach Ansicht der Männer, behandelt werden wollen und wie man sie zu behandeln hat.

Mit der Zeit erlebte ich durch meine Arbeit und durch meine sozialen Kontakte den sozialen Druck der auf Schultern eines Heranwachsenden lastet. In meiner Arbeitsstätte kamen täglich Kinder um in verschiedenen Kursen teilzunehmen oder sich aktiv in Workshops weiterzubilden. Bereits im Kindesalter ist der Konkurrenzkampf enorm. Jeder Junge adaptiert das Verhalten und Vokabular der Männer; so pfeifen bereits neunjährige Buben erwachsenen Frauen nach, erfinden die abstrusesten Geschichten und geben untereinander mit ihren Schulfreundinnen an. Wer da nicht mithalten kann, gilt schnell als anders oder homosexuell. Es gilt seine soziale Position von mal zu mal klarzustellen und den anderen im Wettlauf durch seine Geschichten auszustechen. Man kann also sagen, dass man durch die Erwartungen der Gesellschaft an seine Rolle, in ebendiese unweigerlich hineingedrückt wird.
Doch auch die Mädchen lernen schon schnell, worauf es ankommt um der Frauenrolle gerecht zu werden. So musste meine siebenjährige Gastschwester täglich Besorgungen für ihre Mutter und vor allem für ihre patriarchalisch veranlagten Brüder machen – die stets mit Kartoffelchips und Cola auf der Fernsehcouch versorgt werden wollten.
Auch meine Arbeitskollegen, die durch die Arbeit gegen den Machismo kämpfen, waren nicht vom Machismo losgelöst. Er wurde nach wie vor, wenn auch in abgeschwächter Form, von den Männern praktiziert und von den Frauen akzeptiert. In der ersten Zeit hatte ich Probleme damit, zweifelte an der Ernsthaftigkeit ihrer Arbeit und hielt manche Momente während der Workshops und Aktionen gegen den Machismo zum Teil für nicht glaubwürdig. Erst mit der Zeit begann ich zu verstehen, dass man nicht von heute auf morgen verlangen kann, die Ketten des Machismo abzulegen. Das hätte die gesellschaftliche Ausgrenzung bzw. Isolation des jeweiligen bedeutet, was in einem Land, dessen Gesellschaft derart durch soziale Beziehungen und Abhängigkeiten verwoben ist und durch soziale Kontrolle aufrecht gehalten wird, ein absolutes Debakel wäre.