Freitag, 14. Januar 2011

über senf und kommunismus.

viel wurde geredet in letzter zeit. in zahlreichen diskussionen wurde – mal mehr, mal weniger geistreich – über lötzschs äußerungen zum kommunismus debattiert. das thema kommunismus hat anscheinend auch heute, nach etwa 150 jahren der diskussion und auseinandersetzung, noch nichts an seinem ursprünglichen konfliktpotential verloren. man möchte sagen, dass die ganze debatte an sich, durch einen – meines erachtens eher langweiligen und unschockierenden aufsatz – wie ein alter, faltiger luftballon neu aufgeblasen wurde und inzwischen sarrazinsche ausmaße angenommen hat. nun, an dieser stelle, möchte auch ich meinen senf dazugeben!

verständnislos beobeachtete ich bisweilen die debatte. die einschlägige presse – allen voran natürlich die regenbogenseiten – berichtete in reißerischer form über lötzsch. ich bin mir sicher, dass nicht einmal die hälfte der journalisten und redakteure, ebensowenig wie der rest der nun leidenschaftlich debattierenden bevölkerung, den ganzen aufsatz gelesen hat.

deshalb möchte ich die handvoll leser dieses blogs – vermutlich bestehend aus meiner mutter, meinen schwestern, meinen mitbewohnern, fabian, max und jan-erik – dazu auffordern sich erst mit dem ursprünglichen text, so wie er in der jungen welt publiziert wurde, auseinander zu setzen.

http://www.jungewelt.de/2011/01-03/001.php

vorgeworfen wurde lotzsch, dass sie den kommunismus herbeirufen wolle und die abermillionen opfer des stalinismus verschweigt. diese undifferenziertheit, mit der der text besprochen wird, ist für mich unerklärlich. lötzsch ruft nicht zur revolution, noch ruft sie zum kommunismus auf!

ihr aufsatz war ein beitrag zur debatte über kommunismus. dass sie dabei den weg des demokratischen sozialismus anstatt des kommunismus bevorzugt, wird sehr gut deutlich, wenn man sich alleine den ersten abschnitt ihres textes anguckt, indem sie einleitend ihre intention darlegt und bezug zum thema kommunismus schafft. im ersten abschnitt des textes taucht das wort „kommunismus“ genauso oft wie in den folgenden fünf abschnitten auf, indem sie ihre sicht der dinge darstellt. sie distanziert sich folglich in einer klaren art und weise zum stalinistischen terror, indem sie sich auf rosa luxemburg bezieht, die einen gänzlich vollkommen anderen weg zum kommunismus suchte.

Wenn Kommunismus das Gemeinschaftliche betont und der Liberalismus den einzelnen, dann wollte Rosa Luxemburg beides zugleich – höchstmögliche Gemeinschaftlichkeit bei der Kontrolle darüber, daß Eigentum und Macht im Interesse aller gebraucht werden, und größtmögliche Freiheit individueller Entfaltung, radikaler Kritik und Öffentlichkeit.“

ich finde gerade in ihren gedanken wird das kommunistische dilemma mehr als deutlich. es gab in der geschichte abertausende wege, den kommunismus zu erreichen. der kommunismus ist also keine homogene bewegung. es gibt marxisten, leninisten, maoisten, trotzkisten, stalinisten und viele mehr. zum teil sind diese strömungen miteinander dermaßen verfeindet, dass sie z.b. im spanischen bürgerkrieg, als es galt gemeinsam den drohenden faschismus francos zu bekämpfen, ihre waffen gegen die leute in den eigenen reihen richteten.1 die art von kommunismus, die gerne als paradebeispiel in den einschlägigen diskussionen herhalten muss, sprich der stalinismus, wird von mir persönlich, also aus einer trotzkistischen sicht der dinge, gar nicht als kommunismus aufgefasst.

ganz im gegenteil. stalinismus bedeutet nichts weiter als das fortbestehen alter, faschistischer strukturen und hierarchien. demnach ist der stalinismus für uns trotzkisten ein noch größerer feind als der kapitalismus/imperalismus. unter dem deckmantel „kommunismus“ wird so eine terrorherrschaft herbeigeführt, die in größtmöglichen widerspruch mit den eigentlichen zielen des kommunismus steht. der stalinismus ist ein faschistisch-reaktionistisches werkzeug zur verteuflung des kommunismus. und der stalinismus zeigt seine wirkung! denn nicht sonst gäbe es solch einen gesellschaftlichen aufschrei. die menschen assoziieren stalinismus mit kommunismus.

gerade deshalb ist es von nöten, dass der stalinismus in unserer gesellschaft differenziert wieder aufgearbeitet wird und ein allgemeines, unvorbelastetes bewusstsein über die heterogene bewegung des kommunismus geschaffen werden kann. es wäre wünschenswert, wenn eine objektive, unbefangene herangehensweise in unserer gesellschaft möglich sein würde. ich bin mir dessen bewusst, dass dieses unterfangen sehr schwer umzusetzen wird. der mensch ist dazu geneigt, in schwarz-weiß/gut und böse zu denken. ich hoffe, dass ich mit meinen gedanken ein wenig dazu beitragen konnte, aufzuweisen, dass dieses simple kategorische denken in der politischen diskussion nicht angebracht ist.

über das unvermögen gesine lötzschs, diesen sachverhalt ihren widersachern und kritikern begreiflich zu machen bin ich dennoch erstaunt. ich denke, dass mit der von mir dargelegten herangehensweise eine ganz andere basis für eine diskussion geschaffen werden würde. http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1233944/Die-Linke-und-der-Kommunismus

in dieser diskussionsrunde wird das dilemma gut deutlich. natürlich schlagen alle leute immer wieder in dieselbe kerbe, indem sie auf den staatsterror der ddr und sowjetunion hinweisen, der mit allen kommunistischen theorien in einen topf geworfen wird. zwar versucht Lötzsch an einigen stellen darauf hinzuweisen, dass die linke für einen demokratischen weg steht, dennoch gelingt es ihr nicht für klare verhältnisse zu sorgen. bemerkenswert ist auch die unkenntnis der anwesenden politiker. obwohl die meisten anwesenden berufspolitiker sind, haben sie ein sehr naives und eingeschränktes bild vom kommunismus. es ist offensichtlich, dass die inhaltliche auseinandersetzung mit dem kommunismus noch nicht einmal bei politikern stattfindet und sie ein, mir unglaublich erscheinendes, unvermögen bzw. desinteresse aufweisen, den kommunismus in seinen grundzügen überhaupt zu verstehen. versteht man den kommunismus nicht, so ist eine diskussion über ihn vollkommen sinnlos.

genauso wenig erscheint es mir sinnvoll, ohne vorkenntnisse über quantenphysik zu streiten. kennt man die physikalischen regeln und grundsätze der quantenphysik nicht, so wäre es klüger man erspart sich seinen beitrag am wissenschaftlichen disput.


1 einen erkenntnisreichen einblick über diese wirren und konfusen verhältnisse gewinnt man in george orwell's erlebnisbericht „mein katalonien“. dort bechreibt er wie stalinistische gruppierungen versucht haben, den widerstand von trotzkistische milizen zu säubern.